Beschreibung von Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 127

Bibliographische Beschreibung

Handschriftentitel
Decretum Gratiani
Entstehungsort
Köln
Entstehungszeit
um 1170-1180
Beschreibstoff
Pergament
Umfang
309 Blätter
Format
395 mm x 263 mm
Persistenter Identifier
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-8627 Persistent Identifier (URN)
Weitere Angaben
Land
Deutschland
Ort
Köln
Sammlung
Dombibliothek
Signatur
Cod. 127

Überblickbeschreibung

Decretum Gratiani

Das 'Decretum Gratiani', eine umfangreiche Rechtssammlung von annähernd 4000 'capitula', entstand im 2. Viertel des 12.Jahrhunderts aus dem Bedürfnis heraus, die damals unüberschaubare Menge kirchlicher Rechtsvorschriften zusammenzufassen (s. Dom Hss. 91, 115, 117, 119, 210, 212, 213) und deren Widersprüche zu erklären und zu harmonisieren: Dieses Ziel verdeutlicht der eigentliche Titel des Werks Concordia discordantium canonum (9r). Als Kompilator der bis etwa 1140 abgeschlossenen beiden ersten Teile gilt Gratian (gest. um 1150), über dessen Leben wenig Sicheres bekannt ist. Man nimmt an, daß er Mönch war und in Bologna, dem damaligen Zentrum der Rechtswissenschaft, als Magister gelehrt hat. Noch vor Mitte des Jahrhunderts wurden der Abschnitt über die Buße (De poenitentia) und der dritte Teil (De consecratione), beginnend mit der Kirchenkonsekration, hinzugefügt (vgl. P. Landau, in: TRE 14, 1985, S. 124ff.). Als erster Teil des 'Corpus Iuris Canonici' (s. auch Dom Hs. 130, Kat.Nr.57) hatte die Sammlung bis ins Jahr 1918 Geltung.

Parallel zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Quellen des Römischen Rechts, der Legistik, kam es - zunächst in Bologna, dann in Paris und an anderen Orten - zur Ausbildung einer von den übrigen theologischen Fächern emanzipierten Beschäftigung mit dem kirchlichen Recht. Die Kanonistik, die eng mit der Lehre in den Schulen der Juristen verbunden ist, findet - außer in eigenständigen Abhandlungen - vor allem in der Glossierung der verbindlichen Texte ihr Hauptbetätigungsfeld (s. Dom Hss. 128, 130, 135, Kat.Nrn.56, 57, 59). Als Zeugnis einer von Paris abhängigen "Kölner Schule" bietet der erste Decretum-Codex der Dombibliothek eine erstaunlich große Anzahl sonst nirgends überlieferter Glossen. Diese sind ebenso wie Parallel- und Konträrstellen, Nota-Zeichen und gelegentliche Textverbesserungen sorgfältig auf die einzelnen Randspalten verteilt. Interlinear stehen meist Worterklärungen. Ab Distinctio 4 des ersten Teils begegnen zusätzlich sog. "rote Zeichen", graphische Symbole, die hier allerdings in der Tintenfarbe der Glossen eingetragen wurden. Mit diesen Verweisungszeichen markierten Kanonisten der zweiten Hälfte des 12.Jahrhunderts inhaltlich zusammenhängende Textpartien.

Für die künstlerische Ausstattung des neuen Textcorpus entwickelte sich schnell ein festes Schema, ohne daß man dabei auf ein Vorbild in älteren Rechtssammlungen hätte zurückgreifen können. Durch Initialen und/oder Miniaturen hervorgehoben werden jeweils der Beginn des ersten, die 36 Causae des zweiten und der Anfang des letzten Teils. Die im Ehe-, aber auch im Erbrecht wichtige Problematik der verwandtschaftlichen Beziehungen veranschaulichen meist zwei Tafeln bei Causa 35. Im Kölner Codex wurde lediglich eine 'Arbor consanguinitatis' am Schluß des Buches eingetragen. In Entsprechung zu den 'Etymologien' Isidors sind in der einfachen Tafel sieben Verwandtschaftsgrade ausgewiesen (vgl. H. Schadt, Die Darstellungen der Arbores Consanguinitatis und der Arbores Affinitatis, Tübingen 1982, S. 70ff. u. 372f.).

Die historisierte Initiale zum einleitenden Humanum genus duobus regitur steht als kleine Miniatur über dem die Kolumne in Ziermajuskeln füllenden Initium. Der Künstler bildete den Buchstaben aus einem gekrönten Herrscher und einem Erzbischof, die gemeinsam ein Szepter halten. Damit ist der im ersten Satz des Dekrets abstrakt formulierte Sachverhalt veranschaulicht, daß das Menschengeschlecht von 'ius naturale' (Naturrecht) und 'mores' (Gewohnheitsrecht) regiert sei. Meist erscheinen allerdings Papst und Kaiser in den Eingangsinitialen der Decretum-Codices als die höchsten Repräsentanten des göttlichen bzw. weltlichen Rechts - wie es die von den Glossatoren angeführte Stelle aus Distinctio 96 nahelegt. In Dom Hs. 127, die die Allegation, wenn auch mit einem Schreibfehler, am rechten Rand vermerkt, mögen König und Metropolit auf das Krönungsrecht des Kölner Erzbischofs hinweisen (Stangier 1995).

Im Gegensatz zu den italienischen Fassungen des Themas, wo der Papst links und der Kaiser rechts dargestellt sind, ist hier die Anordnung beider Figuren verändert. Damit gewinnt die Vermutung neue Nahrung, daß sich der Künstler an der Dedikationsminiatur einer älteren Beda-Handschrift aus dem Kloster Groß St. Martin in Köln orientiert haben könnte, die in der Tat formale Anknüpfungspunkte bietet (Plotzek 1973). Anregungen durch Motive kölnischer Federzeichnungsinitialen aus dem 2. Viertel des 12.Jahrhunderts verraten letztlich auch die mit äußerst beweglichen Drachen und Löwen phantasievoll gestalteten Anfangsbuchstaben zu einzelnen Causae. Die von der rechtsgeschichtlichen Forschung vorgeschlagene Datierung in die "Zeit um 1170 oder kurz danach" (Weigand 1991, S. 784) wird man allerdings aus kunsthistorischer Sicht in das 4. Viertel des 12.Jahrhunderts verschieben wollen. Bei der Suche nach dem Skriptorium, in dem die Handschrift entstanden ist, dürften Fragen nach dem konkreten Ort der "Kölner Schule", ihren rechtskundigen Mitgliedern und deren Beziehungen zu anderen kirchlichen Institutionen in der Domstadt aufschlußreich sein.

Autor des Textes: Beate Braun-Niehr

Zustand und Zusammensetzung

Lagenstruktur
Lagen 18+1, 26+2, 3-308, 316, 32-388, 396+1 ;
Seiteneinrichtung
Schriftspiegel 247 mm x 136 mm bzw. (ab Fol. 263) 255 mm x 140 mm ;Liniierung mit Metallstift; 2 Spalten von je 62 mm Breite und 13 mm Abstand, bzw. (ab Fol. 263) innen 69 mm Breite und 10 mm Abstand, mit Versalienspalten ( 5 mm ), bis Fol. 262 auch an der Außenseite der äußeren Marginalspalte, und Marginalspalten zu beiden Seiten des Textes (innen einfach von 22 mm und außen doppelt von 15 mm und 29 mm Breite); 50 bzw. 54 (Fol. 246, zu Ende der 30. Lage) Zeilen.

Schrift und Hände

Lateinischer Text in dunkelbrauner spätromanischer Minuskel, rubriziert; zeitgenössische Glossen von mehreren Händen; Auszeichnungsschrift und Initialen: Ziermajuskeln;

Buchschmuck

  • Mehrzeilige und große Rankeninitialen in roter Federzeichnung mit gespaltenem, rot gefülltem Buchstabenkörper und Klammern, teilweise Füllung des Binnen- und Außengrundes in Blau und Grün, bisweilen mit zoomorphen Motiven; große Eingangsinitiale mit goldenem, gespaltenem Buchstabenkörper mit silbernen Klammern, Ranken in Grün und Rot auf blauem Grund; mehrfarbige Miniatur zum Textbeginn in den Deckfarben Grün, Blau und Rot sowie mit Gold und Silber.

Einband

Einband: Hirschleder über Holz, zusätzlicher überlappender Lederbezug; je fünf Messingbuckel auf Vorder- und Rückdeckel, von denen auf dem Rückdeckel der mittlere fehlt, sowie vier Überwurfschließen, die von Messingdornen gehalten werden; in neuerer Zeit restauriert.

Geschichte der Handschrift

Provenienz
Besitzvermerk Kölner Dom aus dem frühen 13.Jh. (2r); Darmstadt 2513.

Inhaltsangabe

  • 1r Kurze schematisierte Distinktionen mit Angabe der Bezugsstelle.
  • 1v Leer.
  • 2r Besitzvermerk des Kölner Domes Ista sunt decreta beati Petri in Colonia (fr. 13.Jh.); Introductio P(RIMA IN parte).
  • 9r-308v Titel: Decretum Gratiani (A. Friedberg [Hg.], Corpus Iuris Canonici I [Leipzig 1879], ND Graz 1959; Sigle A, vgl. Sp. XCV).
    • 9r Teil 1 Incipit: Concordia discordantium canonum, ac primum de iure naturae et constitutione (!). Distinctiones. Dist. 1 H(UMANUM GENUS): Gekrönter Herrscher und Erzbischof halten gemeinsam ein Lilienszepter; Marginalglosse 1 Divisio minus plena; Marginalglosse 2 De iure scripto et non scripto. 81r Ende mit Dist. 101 pecuniam fiunt, contineat.
    • 81r Teil 2. Causae.
      • 81r Causa 1 Q(UIDAM HABENS FILIUM) . Die einzelnen causae werden jeweils von einer Rankeninitale eingeleitet. Durch Initialschmuck hervorgehoben:
      • 127v Causa 7 Q(UIDAM LONGA INFIRMITATE) : Löwe.
      • 138v Causa 10 L(AICUS QUIDAM BASILICAM): Drache.
      • 163v Causa 13 d(IOCESIANI CUIUSDAM): Drache.
      • 176r Causa 16 Q(UIDAM ARCHIPRESBITER [korrigiert zu abbas HABEBAT): Drache.
      • 189v Causa 17 Q(UIDAM PRESBITER infirmitate): Drache.
      • 234v Causa 26 S(acerdos): Drache.
      • 290v Ende mit Causa 36, quaest. 2, can. 11 detrahere voluerit ;
    • 290v Teil 3. De consecratione. Dist. 1 Incipit: D(e ecclesiarum consecratione) . 308v Ende mit Dist. 5, can. 11 Explicit: viderit patrem facientem ; Nachtrag: Dist. 73.
  • 309r Titel: Arbor consanguinitatis.

Bibliographie

  • Hartzheim 1752, S. 81
  • Jaffé/Wattenbach 1874, S. 53
  • S. Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140-1234), Vatikanstadt 1937, S. 4, 17
  • Plotzek 1973, S. 317f.
  • Zeit der Staufer 1975, I S. 247, Nr. 345 (W. Irtenkauf)
  • A. Melnikas, The Corpus of the Miniatures in the Manuscripts of the Decretum Gratiani, Bd.I, Rom 1975 (Studia Gratiana 16), S. 37
  • A. Stickler, Ursprung und gegenseitiges Verhältnis der beiden Gewalten nach den Miniaturen des Gratianischen Dekrets, Rom 1976 (Studia Gratiana 20), S. 339ff., bes. 356
  • R. Weigand, Frühe Glossen zu D 11 pr.-c. 6 des Dekrets Gratians, in: ZSRG.K 95 (1978), S. 73ff.
  • C. Nordenfalk, Besprechung Melnikas, in: ZKG 43 (1980), S. 318ff. bes. 324
  • R. Weigand, Paucapalea und die frühe Kanonistik, in: AKathKR 150 (1981), S. 137ff.
  • G. Dolezalek/R. Weigand, Das Geheimnis der roten Zeichen. Ein Beitrag zur Paläographie juristischer Handschriften des zwölften Jahrhunderts, in: ZSRG.K 100 (1983), S. 143ff.
  • Ornamenta 1985, I S. 417f., 421, Nr.C 4 (A. von Euw)
  • R. Weigand, Die Glossen zum Dekret Gratians. Studien zu den frühen Glossen und Glossenkompositionen, Teil I-IV, Rom 1991 (Studia Gratiana 25, 26), bes. S. 782ff. u. S. 1038 (Reg.)
  • Handschriftencensus 1993, S. 647f., Nr. 1092
  • Heinrich der Löwe 1995, I S. 46, Nr.A 8 (T. Stangier).

Quellenangabe

  • Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung. München 1998. S. 262-266 [Digitaler Volltext]
Impressum
Herausgeber
Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln
Redaktion
Im Rahmen des DFG-Projekts CEEC bearbeitet von Patrick Sahle; Torsten Schaßan (2000-2004)
 
Bearbeitung im Rahmen des Projekts Migration der CEEC-Altdaten von Marcus Stark; Siegfried Schmidt; Harald Horst; Stefan Spengler; Patrick Dinger; Torsten Schaßan (2017-2019)
Ort
Köln
Datum
2018
URN
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-8627
PURL
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-8627
Lizenzangaben

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