Beschreibung von Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 99
Bibliographische Beschreibung
Überblickbeschreibung
Isidor von Sevilla: Kleinere Werke
In Dom Hs. 99 sind mehrere Werke eines der bedeutendsten Autoren an der Wende von der Spätantike zum frühen Mittelalter überliefert. Isidor wurde um 560 wahrscheinlich in Südspanien geboren und nach dem frühen Tod seiner Eltern von seinem Bruder Leander erzogen, dem er 599/600 als Bischof von Sevilla nachfolgte. Nach langer Amtszeit starb er im Jahre 636. Sein schriftstellerisches Schaffen umfaßt verschiedene Werkkomplexe, in denen er sich mit antikem Bildungsgut (Naturkunde und Grammatik), mit Exegese, mit Kirchenrecht und mit der Geschichtsschreibung auseinandersetzte. In der vorliegenden Handschrift werden zwei dieser Themenbereiche berührt: In seinen 'Prooemia' führt Isidor in die biblischen Bücher ein (2r-16r); seine Abhandlung über das Leben und Sterben der Väter enthält Lebensgeschichten wichtiger Persönlichkeiten des Alten und Neuen Testamentes (16r-36r), deren Namenserklärung er sich anschließend widmet (36v-52v). Diesen exegetischen Schriften folgt mit 'De natura rerum' eine enzyklopädische Zusammenstellung des aus der Antike überlieferten naturkundlichen Wissens (53r-82r; vgl. Dom Hs. 83II, Kat.Nr.24). Naturereignisse und Zeiteinteilung erläutert er mit Hilfe von Diagrammen: die Monate und Tage (57r), die Jahreszeiten und deren Klima (59v), die Klimazonen der Erde (61v; mit den Kriterien bewohnbar und unbewohnbar), die vier Elemente (62v; Feuer, Luft, Wasser, Erde), das Verhältnis von Mikrokosmos und Makrokosmos (63v; Elemente, Jahreszeiten, Temperamente), die Planetenbahnen (71v) und die Winde (78r). Als Einleitung ist der Brief Isidors an den Westgotenkönig Sisebut (612-621) vorangestellt, dem die enzyklopädische Abhandlung zugeeignet ist. Den Abschluß der Werke Isidors bildet seine möglicherweise früheste Schrift mit dem Titel 'Differentiae' (83r-104v), die in Dom Hs. 99 nur mit dem zweiten Teil - 'Die Unterschiede zwischen den Sachen' - vertreten ist, während der den Wörtern gewidmete erste Teil fehlt. Es handelt sich dabei um die Ansätze einer Enzyklopädie, in der die Erkenntnis auf die grammatikalischen Kategorien der Etymologie (Worterklärung), der Analogie (Wortentsprechung), der Glosse (Worterläuterung) und hier der Differenz gestützt ist (J. Fontaine, in: LexMa 5 [1990], Sp. 678). Er stellt z.B. der göttlichen Gnade den freien Willen gegenüber (Diff. II,32), wobei ersterer die notwendige Priorität zukomme, oder die 'vita activa' der 'vita contemplativa' (Diff. II,34,131), die sich im Vergleich mit dem aktiven Leben als überlegen erweise (J. Fontaine, in: DSAM 7/2 [1971], Sp. 2108). Der ganzen Handschrift ist als wohl ottonisches Einzelblatt (vgl. Jacobsen 1991) das Gedicht eines Schreibers Egilbertus vorgebunden, das sich auf 'De natura rerum' zu beziehen scheint und das heidnisch-antike Wissen in die göttliche Schöpfung einbindet (1v).
Zustand und Zusammensetzung
Schrift und Hände
Lateinischer Text in hell- bis dunkelbrauner sowie schwarzer karolingischer Minuskel; Auszeichnungsschrift: Uncialis, gelegentlich Capitalis Quadrata; ein- bis dreizeilige Initialen in Tinte;
Buchschmuck
- Mehrzeilige Initialen in Tinte, in Isidors 'De natura rerum' auch mehrfarbig in Minium, Beige und Gelb mit Zopf- und reduzierter vegetabiler Ornamentik; Diagramme in Tinte, Minium und Gelb.
Einband
Einband: Pergament mit Streicheisenlinien über Pappe (Mitte 18.Jh.).
Geschichte der Handschrift
Inhaltsangabe
- 1r Federprobe probatio pennae.
- 1v Vorrede eines Schreibers Egilbert ( Jaffé/Wattenbach 1874, 37f.; MGH PP V/1-2, 376f.; Walther 3266; Schaller/Könsgen 2719 ) Continet iste liber veterum monumenta priorum,/Legis et ipse nove signat honore patres./Presentis mundi reboabit tempora scripta,/Cum varie redeunt, machina picta notat./Orbita solis habet lunarem concita lumen/Stelligerosque globos circuit illa micans./Caetera demon strat qua sint compage conexa/Lucida mille simul sidera caelifera./Eolidos flatus per freta labentia spirant,/Discerpunt rapidi terrea fructifera./Trifarius splendet trino ordine cursus ab ortu/Mundi presentis qui fuit et fuerit./Cuncta simul dominus concordat pace quieta,/Quae propriis manibus fecit et ipse suis,/Ut maneant sine fine creata in laude perenni./His Egilbertum laudibus adde tuum.
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2r-16r
Autor: Isidor
Titel: Kommentar zum Alten und Neuen Testament. Vorrede
(PL 83, 155C-180A).
- 2r Incipit: IN NOMINE DOMINI SUMMI INCIPIT LIBER PR[OO]EMIORUM DE LIBRIS NOVI AC VETERIS TESTAMENTI PLENITUDINE QUAM IN CANONICA CATHOLICA RECIPIT ECLESIA IUXTA VETUSTAM TRADITIONEM. I(N PRINCIPIO VIDELICET).
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16r-36r
Autor: Isidor
Titel: Vom Leben und Sterben der Väter (De ortu et obitu patrum)
(PL 83, 129B-156A).
- 16r Prolog Incipit: I(NCIPIT VITA VEL OBITUS SANCTORUM).
- 16v Capitula.
- 17v Altes Testament Incipit: INCIPIT VITA VEL OBITUS SANCTORUM QUI IN SCRIPTURARUM LAUDIBUS EFFERUNTUR. A(DAM).
- 31r Neues Testament Incipit: I(NCIPIT EORUM QUI SUNT IN NOVO TESTAMENTO. ZACHARIAS) .
- 36r/v Autor: Anonymus , Incipit: In veteri testamento ignis semper in altari ardebat - cummunicare non desinat (ohne Rubrik).
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36v-52v
Autor: Isidor
Titel: Von den biblischen Namen
(PL 83, 97B-130B).
- 36v Incipit: DOMINO SANCTO AC REVERENTISSIMO FRATRI HOROSIO ESIDORUS. Quaedam notissima.
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53r-82r
Autor: Isidor
Titel: Naturgeschichte (De natura rerum)
(PL 83, 963A-1016C;
J. Fontaine, Isidore de Seville, Traité de la nature, Bordeaux 1960, 167-325).
- 53r Titel: Brief Isidors an den Westgotenkönig Sisebut Incipit: D(UM ITER PRESENTIS).
- 53v Capitula.
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54r
Incipit:
INCIPIT LIBER TESTIMONIORUM Isidori. D(ae [!] diebus)
.
- Initialen: 57r D(aehinc revertis),
- 59v Q(uorum temporum),
- 62v C(aeterum sanctus Ambrosius ),
- 63v DE CAELO. C(aelum spiritaliter).
- Diagramme (zur Erklärung der Diagramme s. Dom Hs. 83II ): 57r Von den Monaten,
- 59v Von den Jahreszeiten,
- 61v Von den fünf Zonen der Welt,
- 62v Von den Bestandteilen der Welt,
- 63v Von den Bestandteilen der Welt,
- 68v Von den sieben Gestalten des Mondes,
- 71v Von der Ordnung und Stellung der sieben Wandelsterne,
- 78r Von den Namen der Winde.
- 82r Ende mit dem Kapitel über den Ätna; das anschließende Diagramm eines dreigeteilten Globus mit den drei bekannten Erdteilen ( ASIA, EUROPA, AFRICA) gehört zum Kapitel 'Über die Teile der Erde', das in dieser Handschrift fehlt, auch wenn es in den Capitula genannt wird.
- 82v Leer.
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83r-104v
Autor: Isidor
Titel: Über die Unterschiede. Buch 2. Über die Unterschiede zwischen den Sachen
(PL 83, 69C-98A).
- 83r Incipit: INCIPIUNT DIFFERENTIE AESIDORI EPISCOPI. I(NTER DEUM ET DOMINUM ITA QUIDEM [!] Definierunt).
- 104v-106r Autor: Anonymus , Incipit: INCIPIT DE SOLSTITIO. Solstitium est cum sol stat et aut dies minuitur - iuxta evangelium passio dominica caelebratur; über die Sonnenwende, die Tag- und Nachtgleiche, das Jahr und die Wochentage.
- 106v Federprobe: vier ineinander gemalte Kreise.
Bibliographie
- Hartzheim 1752, S. 53
- Jaffé/Wattenbach 1874, S. 37f.
- Jeffré 1984 , S. 24
- P.C.Jacobsen, Lateinische Dichtung in Köln im 10. und 11. Jahrhundert, in: Theophanu 1991, I S. 179
- Jeffré 1991 , S. 167
- Handschriftencensus 1993, S. 631, Nr. 1063
- Collegeville 1995, S. 187ff.
Quellenangabe
- Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung. München 1998. S. 288-290 (Ulrike Surmann) [Digitaler Volltext]