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Evangelium secundum Lucam cum glossa ordinaria (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 22)

Bibliographische Beschreibung

Handschriftentitel
Lukasevangelium mit Glossen
Entstehungsort
Südwestfrankreich (?)
Entstehungszeit
2. Viertel 12. Jh.
Beschreibstoff
Pergament
Umfang
133 Blätter
Format
259 mm x 178 mm
Persistenter Identifier
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-84 Persistent Identifier (URN)
Weitere Angaben
Land
Deutschland
Ort
Köln
Sammlung
Dombibliothek
Signatur
Cod. 22
Katalogsignatur
Jaffé/Wattenbach: XXII.
Frühere Signatur
Darmst. 2020
Katalogsignatur
Handschriftencensus Rheinland: 984
Alternative Signatur
Köln, Dombibliothek Hs. 22
Katalogsignatur
HMML Microfilm-No.: 34,990
Frühere Signatur
"154" (earlier shelf mark, f. 1r).

Überblickbeschreibung

Lukasevangelium mit Glossen

In Spätantike und frühem Mittelalter war aus der intensiven Beschäftigung mit dem Bibeltext eine Fülle von Werken - Predigtsammlungen, Kommentare und Traktate zu einzelnen biblischen Büchern - entstanden, die sich, wie die Überlieferung auch in der Kölner Dombibliothek belegt, großer Beliebtheit erfreuten. Nach der Mitte des 11.Jahrhunderts suchte man in den intellektuellen Zentren Nordfrankreichs, getragen von einem Bedürfnis nach Reform in Gesellschaft und Kirche, erneut die Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift. Dabei waren es vor allem Theologen der Kathedralschule von Laon, die - etwa seit dem Jahr 1100 - daran gingen, jenes reiche Material patristischer sowie angelsächsischer und karolingischer Autoren für die exegetische Arbeit zu erschließen. Exzerpte aus diesen Quellen, ergänzt um eigene Bemerkungen, wurden mit dem Bibeltext zu einem kompendienartigen neuen Buchtyp verbunden, den die mittelalterlichen Bibliothekskataloge als 'libri glosati' charakterisieren. Zunächst erstellten Anselm von Laon (gest. 1117) und sein Bruder Radulf (gest. 1131/1133) solche glossierten Ausgaben des Psalters, der Paulusbriefe, des Hohenliedes, des Matthäus-, Lukas- und Johannesevangeliums sowie der Apokalypse. Gilbert von Auxerre (gest. 1134), Schüler Anselms, widmete seine Aufmerksamkeit einigen alttestamentlichen Büchern, darunter der Pentateuch und die Propheten. Ungefähr ab der Mitte des 12.Jahrhunderts verfügte man dann über ein annähernd vollständiges Corpus von Glossen für die gesamte Heilige Schrift.

In Paris lehrte damals Petrus Lombardus (1095/1100-1160; s. Dom Hss. 62 und 181; Kat.Nrn.46, 47) und machte, indem er die Glosse in seinen Sentenzen zitierte, diese zum grundlegenden Arbeitsinstrument der scholastischen Exegese. Ein Standardisierungsprozeß führte dazu, daß man für das einzelne biblische Buch jeweils einem bestimmten Glossentext den Vorzug vor anderen gab. Ausgehend von der Verwendung in den Pariser theologischen Schulen erlangte die 'Glossa ordinaria', an der im 13.Jahrhundert nur noch geringe Veränderungen vorgenommen wurden, weite Verbreitung bis ins späte Mittelalter. Schon seit dem Ende des 12.Jahrhunderts kommentierten die Magister der sich entwickelnden Universitäten nicht mehr allein den Bibeltext, sondern - als Basisreferenzwerk - auch die ihn begleitenden Glossen.

Äußeres Kennzeichen der Bibelglossen-Handschriften ist ein im Laufe der Entwicklung immer mehr verfeinertes Layout, das für ihren Erfolg gewiß von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Von den Schreibern erforderte es eine besonders sorgfältige Gestaltung der Seite. Grundsätzlich wird in die mittlere von drei Spalten einer Buchseite in großem Schriftgrad der biblische Text gesetzt. Den Raum zwischen den Zeilen füllen sog. Interlinearglossen, kurze Erläuterungen schwieriger Begriffe, häufig Synonyme. Ausführlichere Erklärungen bestimmter Passagen finden in kleinerem Schriftgrad in den seitlichen Spalten Platz. Ziel ist die visuelle Einheit der Buchseite.

In einer frühen Phase wurde zunächst fortlaufend der gesamte Bibeltext in einer schmalen mittleren Spalte geschrieben; sodann traten in einem zweiten Arbeitsgang die Glossen über den Worten bzw. auf eigens gezogenen Linien an den Rändern hinzu. Bald half man sich mit einer Unterteilung der Glossenspalten, um die Kommentare korrekt plazieren zu können. Ebenfalls seit etwa 1130 begann die Breite der einzelnen Spalten zu variieren. Damit bahnte sich eine wichtige Veränderung an: Bibeltext und Glosse wurden ab der Jahrhundertmitte jeweils seitenweise gemeinsam abgeschrieben, wobei der Umfang der Passagen genau aufeinander abzustimmen war. Stets blieb jedoch der biblische Text gleichsam das Gerüst des Layouts: Die an den Blatträndern mit dem Zirkel eingestochenen Markierungen dienten allein zur Orientierung für die Zeilen der zentralen Kolumne - so auch bei den hier ausgestellten Glossenhandschriften. Eine letzte Stufe läßt sich erstmals in den frühen 1160er Jahren beobachten. Christopher de Hamel, der diese Veränderungen beschrieben hat, spricht vom alternate-line-Format: Text- und Glossenspalten sind einheitlich liniiert, der Bibeltext steht in einer größeren Schrifttype auf jeder zweiten oder dritten, der Kommentar in kleinerem Schriftgrad auf jeder Zeile; die Anzahl an Glossenspalten ist nun - ebenso wie die Breite der mittleren Spalte innerhalb der Seite - variabel. Erfunden wurde diese ausgesprochen rationelle Methode zunächst in Pariser Skriptorien beim Kopieren der 'magna glossatura' des Petrus Lombardus (s. Dom Hs. 62, Kat.Nr.46), um dann für alle glossierten Bibeln - mit Ausnahme der alten anselmschen Glossen zu Psalter und Paulusbriefen - übernommen zu werden (C.F.R. de Hamel, Glossed Books of the Bible and the Origins of the Paris Booktrade, Woodbridge/Dover 1984; Ders., A History of Illuminated Manuscripts, London 1994, S. 108ff.; G. Lobrichon, in: P. Riché/G. Lobrichon [Hgg.], Le Moyen Age et la Bible, Paris 1984, S. 95ff.; B. Smalley, in: TRE 13 [1984], S. 452ff.).

Ruft man sich in Erinnerung, welche Veränderungen Christopher de Hamel bei der Entwicklung des Layouts der Bibelglossen-Handschriften beobachten konnte, wird man in Dom Hs. 22 sofort einen frühen Vertreter dieses Buchtyps erkennen. Die Breite der Textspalte bleibt im gesamten Manuskript konstant und entspricht zudem fast genau jener der äußeren Glossenspalte. Die innere Kolumne ist mit etwa drei Fünfteln dieser Breite deutlich schmaler dimensioniert und folgt so den in jener Zeit üblichen Maßverhältnissen. Wie in das einmal festgelegte Seitenraster die Texte eingepaßt wurden, wird z.B. auf Folio 116v-117r recht anschaulich: Einstiche am Blattrand markieren nur den Abstand der jeweils fünfzehn Linien der Mittelspalte. Für die Glossen hat der Schreiber entsprechend dem geschätzten Umfang in den seitlichen Spalten engere Zeilen gezogen, manchmal auch einige mehr, als dann wirklich benötigt wurden.

Die einheitliche Ausstattung mit Initialen intensiver Farbigkeit betont nicht - wie man es vielleicht erwarten könnte - die Kapitelanfänge, sondern hebt solche Abschnitte des Lukasevangeliums durch größere Zierbuchstaben hervor, die in besonderer Weise auf Christus bezogen sind: seine Genealogie, den Beginn der Versuchungsperikope und der Seligpreisungen, sodann das Zitat aus Psalm 109,1, das auf die Gottessohnschaft Christi hinweist, schließlich den Anfang der Passionsgeschichte. Auffällig ist auch der Stil dieser Initialen, die gegenüber den in nordfranzösischen Zentren entstandenen Glossenhandschriften merkwürdig fremd anmuten. Zu den schmalen, biegsamen, verschlungenen Ranken, die sich im Ton des Pergamentes hell von den farbigen Polstern abheben, kommen als weitere charakteristische Merkmale kräftige Akanthuspalmetten hinzu, Tier- und Vogelköpfe sowie zwei hundeartige Vierbeiner, die geschickt nach ihrer roten Schwanzquaste haschen. Vergleichbar in Motiven und satter Farbigkeit sind Handschriften des frühen 12. Jahrhunderts aus dem Südwesten Frankreichs, wo sich St. Martial in Limoges zum Zentrum des Aquitanischen Stils entwickelt hatte. Direkte Anknüpfungspunkte bietet ein um 1100 entstandenes Neues Testament (Paris, Bibl. Nat., Lat. 254) mit den Eröffnungsseiten zu den einzelnen Evangelien, das auch Verwandte der beiden Vierbeiner enthält (W. Cahn, Romanesque Manuscripts, London 1996, Nr. 31). Der Kölner Lukas-Codex, dessen Schrift und Layout allerdings erst im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts entstanden sein dürften, belegt also das Weiterleben dieses Stils.

Überblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, 227-230 (Beate Braun-Niehr)

Impressum
Herausgeber
Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln
Redaktion
Im Rahmen des DFG-Projekts CEEC bearbeitet von Patrick Sahle; Torsten Schaßan (2000-2004)
 
Bearbeitung im Rahmen des Projekts Migration der CEEC-Altdaten von Marcus Stark; Siegfried Schmidt; Harald Horst; Stefan Spengler; Patrick Dinger; Torsten Schaßan (2017-2019)
Ort
Köln
Datum
2018
URN
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-84
PURL
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-84
Lizenzangaben

Die Bilder sind unter der Lizenz CC BY-NC 4.0 veröffentlicht

Diese Beschreibung und alle Metadaten sind unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht

Klassifikation