Ecbertus Leodiensis: Fecunda ratis (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 196)
Bibliographische Beschreibung
Überblickbeschreibung
Egbert von Lüttich: Fecunda ratis
Dom Hs. 196 ist aller Wahrscheinlichkeit nach die einzige erhaltene Abschrift der faszinierenden Sammlung von Sprüchen, Lebensweisheiten, Fabeln, Anekdoten und Erzählungen, die nach einer Notiz im Randkommentar (2r) den Titel Fecunda ratis (Das vollbeladene Schiff) trägt. Die Handschrift wurde im 11. Jahrhundert von zwei Hauptschreibern gefertigt, denen eine ganze Reihe von Händen (nach Voigt 1889 weitere 10) zu Hilfe kam, um vergessene Verse nachzutragen, Korrekturen anzubringen, die abgeschabten Blätter 13 und 14 zu ergänzen und Kommentare und Glossen an den Rand zu schreiben. Nach dem Vergleich mit einem weiteren Exemplar haben die Korrektoren nicht nur Varianten, sondern auch eigene Lesarten in den Text eingefügt.
Der Verfasser des Werkes ist Egbert von Lüttich (geb. um 972), Lehrer an der Domschule zu Lüttich, wo er wohl nach langen Jahren des Unterrichtens um 1023 diese "Blütenlese" als Lektüre für die jüngeren Schüler verfertigte. Als formale Vorbilder wählte er sich die in den Schulen beliebte Sammlung der sog. 'Disticha Catonis' und die Fabeln des Avian (4./5. Jh.). Die Inhalte schöpfte der gelehrte Geistliche aus einer Fülle antiker Schriftsteller (z.B. Plautus, Vergil, Horaz, Ovid, Seneca), aus der Bibel und der christlichen Literatur (bes. Augustinus, Hieronymus und Gregor der Große). Besondere Bedeutung erhält das Werk aber durch die Aufnahme von Erzählgut aus der Volkssprache, die Egbert nach seinem Widmungsbrief als erster aufnahm und in lateinische Verse geformt seiner Sammlung hinzufügte.
Egbert hat sich der seit der Antike geläufigen Metapher vom Wagnis des Schriftstellerns als der Fahrt mit dem Schiff aufs hohe Meer bedient und sein Werk allegorisch als Schiff gestaltet, auf dem der Mensch sicher durch das Leben fahren kann. Der Umfang der Texteinheiten, die einem Thema gewidmet sind, wächst von Einzel- zu Doppelversen und schließlich zu Gruppen von drei, vier oder mehr Versen. Der erste Teil des "Bugs" besteht aus selbständigen Einzelversen, die ihr Thema jeweils so kurz und prägnant behandeln, daß Übersetzung und Verstehen nicht immer leicht fallen. Hier hilft oft der Randkommentar, der leider ohne ersichtliche Gründe plötzlich und unvermittelt abbricht. Verständlicher und anschaulicher sind die Doppelverse und die mehrere Hexameter umfassenden Erzählungen, z.B. die Fabeln von Wolf, Fuchs und Bär. Auf dem Bug sind in bunter, kurzweiliger Reihe Regeln aller Art gesammelt. Neben moralischen Aussagen stehen z.B. Weisheiten wie die, daß weder frühe Besucher noch morgendlicher Regen lange bleiben Non multum metuas matutinum hospitem et ymbrem (Vers 263, 8r). Die Warnung vor voreiligen Schlüssen Linguam taurus habet, quamvis non multa loquatur (Vers 375, 11r) - Auch wenn der Stier nicht viel spricht, so hat er doch eine Zunge - (ähnlich Vers 232) ist genauso zu finden wie die Feststellung, daß ein weiser Mensch auf einen Freund ebensowenig verzichten kann wie der Fisch auf das Wasser Piscis aqua non sponte caret nec doctus amico (12r). Gegen Falten und graue Haare kann kein Arzt helfen (Vers 1048-50, 27r), manche Ehemänner sind einfach viel zu jung (Vers 1158-61, 30r) und mancher Lehrer ist nicht nur faul, sondern fragt dumme Schüler auch nach Dingen, die er gar nicht gelehrt hat (Vers 1253ff., 33r). Im zweiten Buch, dem Heck, auf dem der Steuermann seinen Platz hat, überwiegen dann biblische und theologische Inhalte. Die Geschichten werden in einige Verse gefaßt und gedeutet, Auslegungen und Erzählungen der Kirchenväter eingefügt und moralisch-theologische Richtlinien für ein gottgemäßes Leben einprägsam zusammengestellt.
Überblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 321-323 (Alexander Arweiler)
Bibliographie
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