Decretum Gratiani (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 128)
Bibliographische Beschreibung
Überblickbeschreibung
Decretum Gratiani
Das 'Decretum Gratiani' bildet einerseits den Endpunkt der voraufgegangenen Bemühungen, die kirchlichen Rechtsbestimmungen zu sammeln. Es enthält vor allem Beschlüsse von Konzilien und Synoden, sog. Canones, sowie Auszüge aus Papstbriefen und patristischen Autoren (s. Dom Hs. 37, Kat.Nr.53), die mit einführenden Sätzen und interpretierenden Erläuterungen, den 'dicta Gratiani', versehen sind. Behandelt werden sowohl allgemeine Rechtsfragen als auch, am Beispiel fiktiver Fälle, spezielle Probleme, etwa die Rechte und Pflichten der Kleriker und das Eherecht. Die Sammlung wurde - obwohl von päpstlicher Seite nie offiziell approbiert - andererseits Ausgangspunkt für die sich entwickelnde Kanonistik. Indem Paucapalea, ein Schüler Gratians (gest. um 1150), durch Gliederung der einzelnen Bücher und Zählung ihrer Kapitel ein System erarbeitete, das ein bequemes Zitieren erlaubte, legte er den Grundstein für die Dekretistik, die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Dekrettext.
Am Beginn stehen die sog. Allegationen, Verweise auf Rechtsquellen, die als autoritative Belege für eine Behauptung dienen bzw. deren gegensätzliche Aussagen auf ihre Relevanz zu prüfen sind. Sie bilden zusammen mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen die erste Glossenkomposition. In weiteren Schritten werden vor allem Worterklärungen, Hinweise auf das römische Recht sowie Solutionsglossen zur Auflösung von Widersprüchen hinzugefügt. Diskursive, erklärende Glossen, Distinktionen und Quaestionen zeigen mit immer umfangreicheren Glossenapparaten eine verstärkte Auseinandersetzung mit einzelnen Problemen. Seit 1160 bezeichnen Namenssiglen den Autor einer Glosse. Diese Entwicklung endet mit der um 1216 von Johannes Teutonicus (gest. 1245) verfaßten 'Glossa ordinaria'; in der Bearbeitung durch Bartholomaeus Brixiensis (gest. 1258) wird sie Grundlage der frühen Drucke des 'Decretum Gratiani'.
Auch der zweite Decretum-Codex der Kölner Dombibliothek - wiederum mit einer beträchtlichen Anzahl nur hier überlieferter Glossen - darf möglicherweise der rheinischen Schule zugerechnet werden (s. Dom Hs. 127, Kat.Nr.55). Der Haupttext ist sehr sorgfältig geschrieben, wobei die auffällig verzierten Oberlängen der rubrizierten Kapitelanfänge Urkundenschriften nachzuahmen scheinen. Dem Schreiber der Glossen genügten zuweilen die vorgezeichneten Marginalspalten nicht: Dann wich er auf den breiten unteren Rand aus, wo er längere Abschnitte auf eigens liniierten Zeilen oder schematisierte Übersichten eintrug. Gleich zu Anfang der Textes (10v) findet sich übrigens am unteren Rand eine Glosse, als deren Autor Paucapalea genannt wird. Auch ohne Miniaturen eignet dieser juristischen Texthandschrift dank der künstlerischen Ausstattung aller Initialen mit Gold und Silber eine gewisse Kostbarkeit. Die Wirkung der Zierbuchstaben wird zusätzlich durch die intensive Farbigkeit der vegetabilen und zoomorphen Motive gesteigert, mit der sie sich auch von den häufig im Ton des Pergamentes ausgesparten Ranken rheinischer Initialornamentik abheben. Während in der Bildung der Palmetten und den kleinen Drachen durchaus Motive weiterleben, wie sie beispielsweise die 'Vitae sanctorum' aus dem Kölner Kloster Groß St. Martin zeigen (Düsseldorf, Universitätsbibl., Ms. C 10a; Ornamenta 1985, II S. 308, E 87 [G. Karpp]; G. Gattermann [Hg.], Kostbarkeiten aus der Universitätsbibliothek Düsseldorf, Ausst.Kat., Wiesbaden 1989, Nr. 9), dürfte die starke Farbigkeit auf andere, vermutlich westliche Vorlagen hindeuten. Man wird dabei an maasländische Handschriften denken, die ähnlich bunte Rankeninitialen etwa der Bibel aus Arnstein angeregt haben (London, British Libr., Harley 2799; J.J.G. Alexander, Initialen aus großen Handschriften, München 1978, Taf.26). Vielleicht konnte sich der Miniator von Dom Hs. 128 sogar direkt an Decretum-Handschriften orientieren. Einige frühe Codices des neuen Rechtstextes sind mit Initialen im "Channel Style" ausgestattet (vgl. R. Schilling, in: JBAA , 3. F. 26 [1963], 27ff.). Einzelheiten der räumlich differenziert gestalteten Palmettenranken der Kölner Handschrift könnten auf entsprechende Vorbilder nicht nur wegen deren leuchtender Farbigkeit zurückgehen.
AÜberblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 267-269 (Beate Braun-Niehr)
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