Signatur König 2
Inv. 2017/0260
Lothringisches Stundenbuch
Lateinisches Stundenbuch
Picardie oder Normandie und Lothringen (Metz?), 1. Viertel 14. Jh.
Material
Pergament, 247 Blätter (je ein Vor- und Nachsatzblatt aus Pergament); 129 × 93 mm; Lagen (ab fol. 189 Wortreklamanten): 18, 22, 38-1, 46, 5-128, 138-2, 146, 154, 16-188, 198-1, 20-258, 266, 272-1, 288-1, 298, 308-2, 318-1+2, 32-338, 348-1, 356-1 (nach Lage 1 fehlt mindestens eine Lage, die heutige Lage 2 besteht aus aneinander geklebten Einzelblättern; ein Blatt fehlt vor fol. 11, ein Doppelblatt fehlt um fol. 90/91, je ein Einzelblatt fehlt vor 128, nach 189, vor 190, nach 206, vor 211, nach 236 und vor 243); Schriftspiegel: 71 × 51 mm; einspaltig; 12 und 17 (Kalendar), auf 189v 26 Zeilen; Liniierung in Schwarz, an den Seiten und unterhalb des erweiterten Schriftspiegels für die Bas-de-page-Illustrationen doppelt, ab 189v auch oben.
Ausstattung
Lateinischer, im Kalendar französischer und im Schlussteil ab 190 teilweise lothringischer Text in schwarzer, im Kalendar in schwarzer, roter und blauer Textura von drei Schreibern (erster Schreiber von 24-185v, zweiter Schreiber auf 189v, dritter Schreiber 190-247v), rubriziert; Versalien gelb laviert; ein-, zwei- und dreizeilige Initialen in Mauve oder Blau auf Feld in der Gegenfarbe, mit Blattgold gefüllt sowie mit weit ausstrahlenden Dornblattranken und -stäben; Zeilenfüllstreifen der gleichen Art; die Zierbuchstaben, die Zeilenfüller und die Ranken auf vielfältigste Weise belebt; textkonforme fromme Gestalten wie David, Evangelisten oder Beter, zuweilen mit Spruchbändern, bevorzugt in den Initialen; Drôlerien bis zum derb Komischen in den Randfeldern, mit vielen heraldischen Zeichen, deren Zuordnung strittig ist; 24 Kalenderseiten mit dreizeiligen Doppelinitialen und fünfzeiligen quadratischen Feldern mit Bildmedaillons unter dem Text; zehn sieben- bis neunzeilige Bildinitialen mit Zierleiste und Bas-de-page; zwölf textlose Vollbilder jeweils im Feld des Schriftspiegels, mit breiten Leisten und Eckverzierungen, in den Randstreifen nur einzelne ausstrahlende Blattgruppen.
Einband
Maroquin rouge mit dreifacher Streicheisenliniierung in Gold und Eckblüten auf den Deckeln; gebunden auf vier sichtbare Bünde, die fünf Felder mit großem rautenförmigem Blütenmotiv in der Mitte und dichten Ranken als Eckverzierung; Goldschnitt; Frankreich, spätes 17. Jh; der schlichte Schuber in rotem Leder von Léon Gruel (1841-1924), signiert in Kapitälchen »GRUEL«; Aufschrift am Rücken »PSAUTIER DU XIVe SIÈCLE«.
Vorbesitzer
In der lothringischen Rubrik auf 206v wird »la bone damoiselle« genannt; in den Randleisten zahlreiche betende Damen in unterschiedlichen Kleidungen (24r, 40r, 64v, 84v, 219r, 225r, 227r), dazu zwei Mal ein männlicher Beter (24r, 104r); keine dieser Gestalten durch Wappen gekennzeichnet; die zwei Dutzend verschiedenen Wappen auf den Randleisten ungedeutet und möglicherweise sämtlich fiktiv; laut Eintrag des 17. Jhs. (186ff.) 1512 von Madame de Navilize einer Nicolle Caranda, Frau des Jean Maquart, geschenkt; 1595 an deren Sohn Charles Maquart; 1640 an dessen Witwe Agnes Barry; 1659 an Charles de la Forest, Sohn des Noel de la Forest und der Nicolle Maquart, Tochter des Charles Maquart, der zusammen mit seiner Frau Adrienne Beguin das Buch zum bleibenden Familienbesitz erklärt; auf dem Innendeckel vorn Kupferstichexlibris mit dem Motto »Cedant arma Togae« und dem Wappen des Jean Geoffroy, königlicher Rat in Epernay.
Inhalt
1r-10v Bildfolge aus der Passionsgeschichte. 1r Einzug in Jerusalem. 2r Abendmahl mit Magdalena, Christi Füße salbend. 3r Christus wäscht einem Jünger die Füße. 4r Judas erhält die Silberlinge. 5r Gebet am Ölberg. 6r Gefangennahme. 7r Judas gibt die Silberlinge zurück. 8r Christus vor Pilatus. 8v Abklatsch eines verlorenen Bildes. 9r Himmelfahrt. 10r Laurentius-Marter. 10v Abklatsch eines verlorenen Bildes.
11r leer.
11v-23r Kalendar in französischer Sprache, mit quadratischen Feldern, die in Medaillons jeweils eine Monatsarbeit und ein Tierkreiszeichen zeigen; mit dialektaler Färbung oder gewagter Orthographie, z.B. nativitei, bertremeu, vegile, joings, joignes, le jour des armes für âmes (Festtage: nach Lothringen weist am 18.7. Arnulphus von Metz [sonst aber kaum Anspielungen auf Lothringen]; Paris spielt eine in Frankreich freilich nicht weiter erstaunliche Rolle; Normandie und Picardie kommen hinzu; die wichtigsten Nennungen hier in der originalen Orthographie: 17.1. Souplis, 3.2. Blaive, 28.2. Romain, 6.4. Jangol, 2.5. Aupin, 22.5. Dysier, 2.6. Marcel, 19.6. Gervaise, 1.7. Thiebaut, 18.7. Ernoul, 31.7. Germain, 3.8. Estiene [rot], 25.9. Fremin, 1.10. Remei, 2.10. Legier, 23.10. Severin, 27.10. Vaast).
Anfänge der Psalmen, Gebete, Lesungen usw. mit figurierten oder historisierten Initialen.
23v Tempelgang Mariens als Vollbild.
24r-102v Marienoffizium mit Suffragien am Ende der Laudes (mit nicht identifizierbarem Gebrauch: Matutin, Laudes, Vesper und Komplet stimmen weitgehend mit dem Ritus von Noyon, Prim bis Non mit dem von Lisieux überein; der Einschub der Suffragien zwischen Laudes und Prim des Marienoffiziums verweist auf die Normandie). 24r D(OMINE): Verkündigung an Maria. 40r D(Eus): Heimsuchung. 55r-64r Suffragien mit Kleinbildern in Initialen. 55r Verkündigung. 55v Beter. 56r Pfingsten. 56v Gnadenstuhl. 57r Kreuzigung. 58r Engel. 58v Johannes der Täufer. 59r Johannes der Evangelist. 59v Peter und Paul. 60r Stephanus-Marter. 60v Lorenz-Marter. 61r Nikolaus. 61v Clemens-Marter. 62r Noli me tangere. 63r Beter für den Frieden. 63v Beterin vor brennendem Haus zu Allen Heiligen. 64v D(Eus): Christi Geburt. 73r D(Eus): Hirtenverkündigung. 79r D(Eus): Anbetung der Könige. 84v D(Eus): Darbringung; Anfang von Vesper und Komplet fehlt. 103r leer.
103v vier Szenen zum Jüngsten Gericht: Seelen in Abrahams Schoß mit Petrus am Himmelstor, Michael als Seelenwäger, Höllenrachen und Höllentopf.
103v-127v Bußpsalmen und Litanei (Heiligenauswahl weniger spezifisch, mit den Pariser Patronen Gervasius und Prothasius am Ende der Märtyrer und mit dem Hauptheiligen von Reims Remigius zu Beginn der Bekenner). 104r D(Omine): Jüngstes Gericht. 121r K(Yrie): Thronender Gottvater zur Litanei.
128r-185v Totenoffizium unbekannten Gebrauchs; Anfang fehlt.
186r-189r ursprünglich leer, 186r, 187r-188r mit Eintragungen des 16.Jhs.
189v zeitgenössischer Nachtrag: Kurzoffizium zum Antlitz Christi. Signatum est super nos […].
190r Passionsoffizium; Beginn der Matutin mit Miniatur (?) fehlt. 198r D(Eus): Kaiser Konstantin und Helena. Nach 206 Anfang der Prim fehlt. Nach 211 Anfang der Terz fehlt. 219r D(Eus): Helena beim Ausgraben des Wahren Kreuzes. 227r D(Eus): Helena bei Totenerweckung durch das Kreuz. Nach 236 und 243 fehlen die Anfänge von Vesper und Komplet. 247v leer.
Literatur
J. Günther, Overlooking the Ages. Illuminated Manuscripts and Printed Books, Hamburg 1999, Nr. 7.
Ars vivendi – Ars Moriendi. Die Handschriftensammlung Renate König, hrsg. und bearb. von Joachim M. Plotzek, Katharina Winnekes, Stefan Kraus und Ulrike Surmann, München 2001, Kat. 2, S. 86-99.
Monster. Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, bearb. von Peggy Große, G. Ulrich Großmann, Johann Pommeranz, Nürnberg 2015, Kat. 1.87, S. 188-189, 462. |