Beschreibung von Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 200
Bibliographische Beschreibung
Überblickbeschreibung
Priscian: Institutiones artis grammaticae
Im System der Sieben Freien Künste, in dem die spätantiken Autoren das Wissen des griechischen und römischen Altertums zusammenstellten und dem Mittelalter als Fundament der Bildung übermittelten, nahm die Grammatik unbestritten die erste und wichtigste Position ein. Neben dem Studium der Dialektik und der Rhetorik bildete die Beschäftigung mit der Sprache, ihren Teilen und ihrem Aufbau die Grundlage des Werdeganges jedes Gelehrten. Diese Hochschätzung der Sprachlehre finden wir erst im 20. Jahrhundert mit dem Aufschwung der sprachphilosophischen und linguistischen Disziplinen wieder. Zunächst mußte sich der Student des Mittelalters - anhand der 'Ars minor', des einführenden Werkes von Donat (ca. 310-380) - mit den Grundlagen der Grammatik und der Auslegung von Dichtertexten befassen, die schon im antiken Unterricht einen festen Bestandteil dieser Disziplin ausmachten. Dann vervollkommnete er seine Studien an der 'Ars maior' und dem umfangreichsten Lehrbuch der grammatischen Wissenschaft, den 'Institutiones grammaticae' des Priscian (Ende 5./Anf. 6.Jh.), von deren ungeheurer Wirkung die mehr als 800 erhaltenen Handschriften beredtes Zeugnis ablegen. Priscian verdichtete zu Beginn des 6. Jahrhunderts in Konstantinopel die lange Tradition griechischer und römischer Grammatiken zu einem Werk, das die Erkenntnisse der Antike in eigenständiger Weise zusammenstellte und als festen Bestandteil der abendländischen Kultur etablierte. Für jedes Kapitel, sei es über die Verbformen, die Verwendung der Pronomina oder die Bedeutung der Konjunktionen, sammelte der Verfasser derart viele Zitate von antiken Schriftstellern, daß die Lektüre des Werkes zugleich eine gute Kenntnis der römischen Literaturgeschichte vermittelte. Umfangreiche Zitatensammlungen wie die des Priscian sind heute oft wertvolle Überlieferungsträger von über die Jahrhunderte geretteten Fragmenten sonst verlorener Schriften.
Die Entstehungszeit des Codex 200 ist auf das 9. Jahrhundert einzugrenzen. Nach einigen eher verfehlten Versuchen der Spätdatierung (s. Hertz, in: GL II 1961, S. XX) setzte Jones (1971, S. 71) die Abfassung nach Köln in die Amtszeit des Erzbischofs Hermann I. (889/890-924). Bischoff (1989) sieht eine Verwandtschaft der Handschrift mit einer moselländischen Gruppe von Codices, die wohl zu Beginn des 9. Jahrhunderts in Prüm entstanden ist. Sicher ist dagegen, daß eine Hand des 11. Jahrhunderts den vorhandenen Text um die Bücher 17 und 18 der 'Institutiones' erweitert hat. Das ansprechende Großformat der Handschrift, die absolut regelmäßige Schrift der Bücher 1 bis 16 sowie die zahlreichen Gliederungshilfen und Hinweise auf den Inhalt, die durchgängig am Rand zu finden sind, zeichnen den Codex nicht nur als Gebrauchsexemplar aus, sondern veranschaulichen auch in schöner Weise die Verbindung von zweckmäßiger und ästhetischer Ausstattung eines mittelalterlichen Buches. Randbemerkungen verschiedener Hände sind Spuren intensiven Studiums, wenn auch die Häufigkeit und Ausführlichkeit der Glossierung nach dem vierten Buch abnimmt. Die großen, freigelassenen Blattränder wurden später zum Teil beschnitten, wohl um das ungenutzte Pergament anderweitig zu verwenden.
Zustand und Zusammensetzung
Schrift und Hände
Lateinischer Text in dunkelbrauner bis schwarzer karolingischer Minuskel, rubriziert, ab Fol. 141 romanische Minuskel; Auszeichnungsschrift: Capitalis Rustica; Initialen: Mischtyp (Capitalis mit unzialen Elementen); meist zeitgenössische Glossen;
Buchschmuck
Einband
Einband: Leder mit Blindprägung über Holz; Streicheisenlinien: Rechteckrahmung mit rautiertem Binnenfeld; Kanten- und Eckbeschläge aus Messing mit Buckeln, letztere mit stilisierten Blumen (drei Eckbeschläge fehlen); zwei Überwurfschließen aus Leder und Messing, die von Dornen auf dem Vorderdeckel gehalten werden.
Geschichte der Handschrift

Inhaltsangabe
- 1r Besitzervermerk Liber Mauricii comitis de Spigellenberch ( ); Begleitverse (etwas jüngere Hand als Haupttext) Me legat antiquas vult qui proferre loquelas./Qui me non sequitur, vult sine lege loqui .
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1r-139v
Autor: Priscian
Titel: Institutiones artis grammaticae (Buch 1-16)
(GLII/III).
- 20v Zur Hälfte leer, Notizen.
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27v-33r
Buch 4
Incipit:
DE DENOMINATIVO
(Über die von Nomina abgeleiteten Wörter).
- 28v Am oberen Rand Zeichnung eines Greifvogels.
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33r-42v
Buch 5
Incipit:
DE GENERIBUS
(Über die grammatischen Geschlechter).
- 42r Am unteren Rand quer Zeichnung einer sitzenden Gestalt mit Buch in der Hand.
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42v-43r
Textzusatz (
GLII, 191-93).
- 42v Rubriziert Incipit: Prisciani grammatici Caesariensis liber V explicit de generibus de numero de figuris de casu. Incipit liber VI de nominativo et genetivo casu .
- 43r Zweites Incipit Incipit: Artis Prisciani Caesariensis viri aeloquentissimi grammatici liber V finit. Incipit VI feliciter scripsi ego Theodorus Dionisii u.d. memorialis sacri scrinii epistolarum et adiutor u.m. questoris s. palti urbis Rome Constantinopolio libro u.c. liber VI.
- 97r-110v Buch 10 Incipit: DE PRAETERITO PERFECTO (Über das Praeteritum und das Perfekt [der dritten Konjugation]).
- 140v Titel: Exzerpt aus Fulgentius, Expositio sermonum antiquorum (zur Ed. vgl. Jaffé/Wattenbach 1874, 88 ). Der Text endet mit einem Explicit in verschlüsselter Schrift ( fxplkckt fxcfrptxm , s. Jaffé/Wattenbach ebd.).
- 141r sind die Rand- und Interlinearglossen sehr zahlreich.
- 170r Autor: Priscian Titel: Widmungsbrief und Beginn von 'De figuris numerorum' (Text bis GLIII, 407, Z.11 ); Notizen und Federproben verschiedener Hände.
- 170v Gesangstext (?) mit Neumen: Incipit: R Cornelius centurio vir religiosus ac timens Deum vidit manifeste angelum Dei dicentem sibi, Corneli, mitte et accersi symonem qui cognominatur Petrus. Hic dicet tibi quid te opporteat facere. V cum orasset Cornelius nundum in Xristo renatus apparuit ei angelus dicens, Corneli .
Bibliographie
- Hartzheim 1752, S. 160
- Jaffé/Wattenbach 1874, S. 87ff.
- E. Steinmeyer/E. Sievers, Die althochdeutschen Glossen IV, Berlin 1898, S. 417
- GLII 1961, S. XX (Hertz)
- Jones 1971, S. 71ff.
- M. Passalaqua, I codici di Prisciano, Rom 1978, S. 113f.
- Schmitz 1983, S. 117f.
- Jeffré 1984 , S. 23
- Bischoff 1989, S. 88
- Handschriftencensus 1993, S. 679f., Nr. 1149.
Quellenangabe
- Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung. München 1998. S. 291-294 (Alexander Arweiler) [Digitaler Volltext]